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Bahtalo Herdelezi! Srećan Đurđevdan!

Roma spielen im Restaurant Sesir Moj in Belgrad

Heute abend beginnt das wichtigste Fest der Roma am Balkan. Đurđevdan/(H)Erdelezi. Bis morgen abend bringt es Millionen in einem rauschenden Fest zusammen, die unterschiedliche Staatsangehörigkeiten haben, unterschiedliche Religionsbekenntnisse, und häufig genug auch unterschiedlichen Ethnien angehören.

 Autor: Christoph Baumgarten

Wenn die Sonne untergeht, werden von Zagreb bis Istanbul, von Skopje bis Tirana, Millionen Roma am Balkan das morgige Festmahl vorbereiten. Lämmer und Schafe werden zerteilt, Gemüse geschnitten, Brot gebacken. Rakija, Wein, Bier und Lieder sorgen für Stimmung für den großen Tag.

Morgen ist Đurđevdan, nach dem Julianischen Kalender der Namenstag des Heiligen Georg. Nach muslimischem Volkskalender ist es Erdelezi/Hidirellez – der Tag, an dem der Sommer beginnt. Beide Feste werden auch von den Gadschi begangen, den Nicht-Roma – aber nicht in dieser Intensität.

Bei Roma gehen am 6. Mai mehrere religiöse und kulturelle Traditionen ineinander über (http://rombase.uni-graz.at/cgi-bin/art.cgi?src=data/ethn/celeb/george.de.xml). So feiern auch katholische Roma in Kroatien mit, für die dieser Tag kein religiöser Feiertag wäre. Hier mischen sich muslimische Bräuche, orthodoxe, fallweise finden sich auch Elemente jüdischer Volksfrömmigkeit in einigen regionalen Varianten, dazu kommen alt heidnische Bräuche.

Letztere sieht man auch bei den Serben. Der Heilige Georg gilt für die orthodoxe Kirche als Schutzpatron Serbiens und ist für viele Familien der Namens- bzw. Familienpatron. Sie feiern an diesem Tag ihre „Slava“ zu Ehren des Patrons. Das verweist klar auf die bis ins 19. Jahrhundert stark ausgeprägte Clanstruktur vor allem bei Serben in ländlichen Gebieten und solche Clanfeiern gelten als Echo vor-christlicher religiöser Bräuche. Freilich, die Slave vieler serbischer Familien reichen nicht heran an die Feste der Roma.

Đurđevdan/(H)Erdelezi ist ein Fest, das in der Öffentlichkeit gefeiert wird. Roma ziehen auf zentrale Plätze ihrer Heimatstädte und Dörfer und feiern und tanzen. Und jeder und jeder, die oder die will, ist eingeladen mitzufeiern. Egal ob Rom oder nicht.

Das macht diesen Tag nach bestem Wissen des Autors zum einzigen am Balkan, an dem nationale und religiöse Trennlinien überwunden werden und oft genug auch ethnische. Das gibt Đurđevdan/(H)Erdelezi eine Bedeutung, die weit über die Tradition der Roma hinausgeht. Es macht das Fest zu einem wichtigen kulturellen Beitrag dieser Volksgruppe.

Dennoch findet sich erstaunlich wenig Information zu diesem Fest im Netz. Abseits der Musik scheint es auch in der Kunst überraschend wenige Spuren hinterlassen zu haben. Vereinzelte Romane und Kurzgeschichten machen diesen Tag zu ihrem Thema.

Eine bildgewaltige Hommage hat Emir Kusturica diesem Tag in seinem Film Dom za vešanje/Zeit der Zigeuner bereitet. Diese Szene kann mit Recht als eines der Meisterstücke der Filmkunst betrachtet werden – wenn es auch Kritik am Film insgesamt gibt, der Roma in typischer Balkansichtweise gleichzeitig idealisiert und sie an vielen Stellen auf negative Stereotype reduziert.

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Das an dieser Stelle gesungene Lied Erdelezi feiert diesen Tag. Es ist vor allem in der serbokroatischen Version Đurđevdan eines der bis heute beliebtesten Lieder in den Ländern Ex-Jugoslawiens.

Die von Goran Bregović arrangierte und seiner Band Bijelo Dugme gesungene Version ist auch Gegenstand nationalistischer Re-Interpretationen (https://balkanstories.net/2015/11/20/the-day-music-lost-its-innocence/). Dass es Teil des kulturellen Erbes der Region ist, das Roma beigesteuert haben, wird von serbischen Nationalisten geleugnet oder zumindest ignoriert. Das kommt einer kulturellen Enteignung gleich.

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Der am Balkan häufige Antiziganismus (https://balkanstories.net/2015/11/08/von-steinen-und-menschen/) manifestiert sich in miserablen Lebensbedingungen für diese größte ethnische Minderheit der Region (https://balkanstories.net/2016/02/29/ardiana-is-thrown-out-of-her-home/).

Das macht dieses Fest auch zu einem Fest der Unterdrückten, die zumindest an diesem einem Tag als Gruppe in die Öffentlichkeit treten und selbstbewusst die eigene Existenz öffentlich feiern.

Dieses Jahr könnte die für westliche Verhältnisse nahezu unvorstellbare Armut vieler Roma dazu führen, dass das Fest in einigen Regionen ausfällt.

„Ich weiß nicht, ob wir dieses Jahr feiern werden“, sagt etwa Roma-Aktivistin Brisilda Taco aus Tirana. „Die wirtschaftliche Lage von Roma ist so schlecht, dass sich viele das Fest nicht leisten können.“

Wenn dieses zentrale Fest ausfällt, sollte das ein Alarmsignal für die europäische Gemeinschaft sein, sich Gedanken zu machen, wie sie helfen kann, das Leben von Roma am Balkan und besonders in Albanien zu verbessern. Viel schlimmer kann es für diese Menschen nicht werden. Hilfe ist dringend notwendig.

Eine englischsprachige Version dieses Beitrags ist auf Christophs Blog Balkan Stories erschienen.

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